
DER MEINUNGSKOMPASS
DIE FAKTEN
- Die Ukraine will das bereits unterschriftsreif ausgehandelte Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union auf dem Gipfel der „Östlichen Partnerschaft“ in Vilnius nicht unterzeichnen.
- Die EU hatte die Freilassung der ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidentin Julija Timoschenko als Bedingung für die Unterzeichnung definiert. Zuletzt hatte es verstärkte Kritik an ihren Haftbedingungen gegeben.
- Am 21. November scheiterten sechs Gesetzesentwürfe im ukrainischen Parlament, welche die Ausreise der erkrankten Timoschenko zur medizinischen Behandlung ermöglicht hätten.
- Russland möchte die Ukraine für eine gemeinsame Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland gewinnen. Weil das EU-Assoziierungsabkommen auch eine Freihandelszone vorsieht, wäre eine ukrainische Mitgliedschaft in der Zollunion aus russischer Perspektive nicht mehr möglich.
- Mehrere tausend Menschen versammelten sich am Wochenende in Kiew, um gegen das Scheitern der Assoziierungsabkommens zu protestieren. Timoschenko trat in einen Hungerstreik ein.
Wer ist Schuld am Scheitern des Abkommens?
„Der lachende Dritte sitzt in Moskau“, kommentiert Stefan Laack auf tagesschau.de. der russische Präsident habe einmal mehr seinen Einfluss auf die Ukraine eindrucksvoll untermauert. Die Ukraine scheue die EU, wie der „Teufel das Weihwasser.“ Die Machtverhältnisse in der Region seien damit eindeutig geklärt und Russland habe nun leichtes Spiel, um die Ukraine zu einer gemeinsamen Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland zu bewegen.
Der ukrainischen politischen Elite seien „persönliche Macht und Gewinn wichtiger als das Schicksal des Landes“, analysiert Reinhard Veser auf FAZ.net. Russland habe der Ukraine deutlich zu erkennen gegeben, welche Machtansprüche es in der Region besitzt. Eine Unterzeichnung des Abkommens wäre aufgrund des russischen Drucks nicht möglich, da sie den ukrainischen Staatsbankrott bedeutet hätte.
„Hätte, wäre, wenn – die Ukraine kneift mal wieder“, beginnt Florian Willershausen seinen Kommentar in der Wirtschaftswoche. Die egoistischen Interessen der politischen Elite des Landes seien ausschlaggebend für das Scheitern des Assoziierungsabkommens. Der Druck aus Moskau spiele hier nur eine geringe Rolle. Dabei seien die Chancen auf eine Unterzeichnung dieses Mal besonders hoch gewesen, da ein Konsens in Wirtschaft und Gesellschaft über den Mehrwert des Abkommens herrschte. Lediglich Präsident Viktor Janukowitsch sei als Schuldiger des Scheiterns auszumachen.
„Ukrainische Politik ist unvorhersehbar“, so Christian Esch in der Frankfurter Rundschau. Der Hauptgrund für das Scheitern des Abkommens seien die lediglich abstrakten Vorteile des Abkommen, die im Gegensatz zu den konkreten russischen Drohungen stehen. Diese haben schlussendlich die Elite in der Ukraine dazu bewogen, das Abkommen platzen zu lassen. Grundsätzlich erkenne die politische Führung der Ukraine zwar bereit die positiven Aspekte einer Partnerschaft mit der EU, konkrete Schritte seien jedoch nicht zu erwarten. Präsident Viktor Janukowitsch habe die Anbindung an die EU nur vorgetäuscht.
„So lange es in der Ukraine keine fähige politische Elite gibt, so lange wird die Ukraine zwischen der EU und Russland pendeln“, kommentiert Zemen Novoprudkij von der russischen Online-Zeitung gazeta.ru. Die Interessen des ukrainischen Volkes seien der politischen Führung um Janukowitsch gänzlich egal. Diese ukrainische Elite habe die Ablehnung des Abkommens forciert, weil sie fürchte, dass Russland seine Investitionen aus ihren Unternehmen abziehe.
Ist die EU-Politik der Östlichen Partnerschaft gescheitert?
„Die Strategie ist [...] damit nun buchstäblich entkernt“, bewertet Ulrich Krökel von der Mittelbayrischen Zeitung die Zukunft der Östlichen Partnerschaft. Der ukrainische Präsident Janukowitsch habe die EU mit seinen pro-europäischen Signalen eiskalt hinters Licht geführt. Die EU solle nun mindestens bis zur nächsten ukrainischen Präsidentschaftswahl warten, um die Ostpolitik in seinen Grundsätzen neu zu überarbeiten. Die Ukraine könne nicht auf den europäischen Weg gezwungen werden.
Das Scheitern des Abkommens sei „aus Sicht der EU [...] ein diplomatisches Desaster“, schreibt Stefan Dobbert auf Zeit Online. Die EU sei mit ihrer Ostpolitik gescheitert. Hauptgrund des Scheiterns war die EU-Bedingung, Timoschenko sei für eine medizinische Behandlung in Deutschland freizulassen. So entstand schlussendlich eine brisante Entscheidungssituation, welche nun die Ukraine vor eine Zerreißprobe stellen könnte. Die Oppositionspolitikerin sei so „unfreiwillig zum Hindernis für ihr eigenes Volk geworden.“
„Es ist nicht die Schuld der EU gewesen“, stellt Werner Kolhoff in der Westdeutschen Zeitung klar. Es sei absolut gerechtfertigt, auf eine Freilassung Timoschenkos zu drängen, weil nur ein Rechtsstaat ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen könne. Die Ukraine habe eine große Chance verpasst und die Hoffnungen einer ganzen Generation leichtfertig verspielt. Russland hingegen habe seinen Einfluss einmal mehr untermauert, indem es ein eindrucksvolles Drohszenario aufgebaut habe und die Ukraine seine Annäherung an die EU nicht fortsetzen werde.