
DER MEINUNGSKOMPASS
DIE FAKTEN
- Seit dem 1. Januar gilt für Bürger aus Rumänien und Bulgarien die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU.
- Im Zuge dessen gibt es erbitterte Diskussionen über mögliche “Armutszuwanderung” aus diesen Ländern. Die CSU fordert in einem Positionspapier: “Wir stehen zur Freizügigkeit in der EU. Eine Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme lehnen wir jedoch ab” und: “Wer betrügt, der fliegt.”
- Während den Christsozialen der Vorwurf des Rechtspopulismus gemacht wird, hat die Parteispitze ihre umstrittene Position bekräftigt und sich auf Hilferufe aus Städten und Kommunen berufen.
- In einer juristischen Stellungnahme hat die EU-Kommission Deutschland aufgefordert, arbeitslosen Zuwanderern Leistungen nicht grundsätzlich zu verweigern. Die Behörde kündigte wenig später aber auch an, Leitlinien aufzustellen, wann Zuwanderer in den Genuss von Sozialleistungen kommen sollen.
Spricht die CSU mit dem Thema „Armutszuwanderung“ ein echtes Problem an?
Mittlerweile werde ja nur noch über den Missbrauch von Sozialleistungen gesprochen, konstatiert Alexandra Jacobson von der Neuen Westfälischen. Völlig aus dem Blick gerate das große Glück der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit: “Aus Rumänien und Bulgarien kommen hoch qualifizierte Ärzte, Krankenschwestern und IT-Spezialisten, die hierzulande dringend gebraucht werden.” Es bleibe zu wünschen, dass von Seiten der Regierungsparteien wieder Sachlichkeit in die Debatte gebracht wird.
Mangelnde Sachlichkeit und Populismus wirft auch Marion Horn auf Bild.de der CSU vor, und reibt sich an dem Begriff der Armutszuwanderung. “Seit wann ist Armut etwas, das man Menschen vorwirft?” Das Problem an der Debatte: Sie stelle alle EU-Bürger, die bei uns in Deutschland ihr Glück suchen, unter Generalverdacht. Dabei sollten wir Deutschen, die wir so viel Flucht und Vertreibung erlitten und verursacht haben, den Zuwanderern großherzig begegnen. “Wer betrügt, der fliegt”, das sei im Kern richtig, aber: Das solle für uns alle gelten.
Man kenne das schon seit Jahren, kommentiert Hans Peter Schütz auf stern.de: “Wann immer die sogenannte programmatische Selbstbesinnung der CSU in Wildbad Kreuth bevorsteht, wird innenpolitischer Krach gemacht.” Die vermeintlich drohende Invasion armer Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien komme den Christsozialen angesichts der bevorstehenden Europa-Wahlen nur recht. Dass die Freizügigkeit für Arbeitskräfte zu Europa gehöre, werde dabei ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass die Bundesrepublik auf Zuwanderer angewiesen sei. “Europa-Populismus pur.”
Zwar seien sich die Gerichte noch nicht einig, welches Recht auf welche Leistung ein Einwanderer habe. Aber sicher sei, vermutet Daniel Deckers auf FAZ.net: Geringer geworden seien die Ansprüche nicht und “die Kommunen wissen ein Lied davon zu singen.” Die CSU stimme nun in den Chor der Oberbürgermeister und Stadtkämmerer ein, und die SPD werfe ihr vor, dem Rechtsextremismus den Boden zu bereiten. Ein fragwürdiger Vorwurf, denn es sei erst zu beweisen, dass in der Sache Zutreffendes fremdenfeindlichen Tendenzen mehr Vorschub leisteten als rechthaberisches Gutmenschentum.
Wirtschaftspolitische Argumente für die CSU-Offensive liefert Henning Krumrey von der Wirtschaftswoche. Die Situation sei schizophren: Einerseits machten uns die Mitgliedsländer im Osten Europas Konkurrenz mit billigen Lohnniveaus. Das sei im marktwirtschaftlichen Wettbewerb legitim. Andererseits könnten Arbeitskräfte von dort hierzulande aufgrund des Mindestlohns nicht mehr zu günstigen Löhnen tätig werden und fielen bei Arbeitslosigkeit unter die Hartz-IV-Empfänger. Solche Sozialleistungen zu gewähren, hieße, “durch die Hintertür ein weiteres kontinentales Transfersystem aufzubauen.”
Ist die Intervention der EU-Kommission angebracht?
“Brüssel als Hort des Bösen” – diese These werde europaweit von ganz links und von ganz rechts geteilt, kommentiert Claus Christian Malzahn auf Welt Online. Auch jetzt wieder beschwöre man angesichts der juristischen Stellungnahme der Kommission über die jüngste Gefahr in Form von rumänischen Trickbetrügern. Dabei habe die EU-Kommission noch eiligst klargestellt, ein Recht auf Einwanderung in andere Sozialsysteme gebe es nicht; auf individuelle Prüfung juristischer Anliegen, so wie im aktuellen EuGH-Fall, hingegen schon. “Das jedoch ist kein Grund zur Empörung, sondern eine Selbstverständlichkeit.”
Dagegen hält die Mainzer Allgemeine Zeitung mit einem dreifachen Nein: Dem Versuch der Kommission, einer Armutszuwanderung in die Sozialsysteme das Wort zu reden, könne man nur mit „nein, nein und nein“ begegnen. In einem Staatenbund wie der EU dürfe man national austarierte Sozialleistungen wie Hartz IV ebensowenig vergemeinschaften wie Rentenansprüche oder Lohnniveaus. “Was für ein Irrsinn!”
Auch Eva Quadbeck von RP Online findet: “Beim Thema Armutszuwanderung macht sich die EU-Kommission einen schlanken Fuß.” Indem sie tendenziell Leistungen für Zuzügler vom ersten Tag an unterstütze, verstärke die Kommission den Trend der Armutszuwanderer in ökonomisch starke Mitgliedsländer. Das erhöhe den Druck auf Deutschland in zweifacher Hinsicht: Denn die derzeit noch übersichtlichen Kosten für Armutszuwanderer in den Sozialsystemen stiegen, und in der öffentlichen Debatte werde es schwieriger, Populisten, die gegen ein freies und offenes Europa wettern, die Stirn zu bieten.
Bild: Wikimedia Commons