
DER MEINUNGSKOMPASS
DIE FAKTEN
- Der Genmais 1507 des US-Herstellers Dupont steht vor einer Zulassung in der Europäischen Union.
- Nachdem das Europäische Parlament eine Anbauerlaubnis bereits abgelehnt hatte, sprachen sich auch 19 der 28 Staaten im Ministerrat dagegen aus, was jedoch für die Ablehnung einer Erlaubnis nicht ausreicht. Die Entscheidung liegt nun bei der EU- Kommission.
- Da sich in der großen Koalition die CSU und die SPD gegen eine Erlaubnis und nur die CDU dafür aussprechen, hat sich die Deutschland bei der EU-Abstimmung enthalten.
- Bei einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung sprachen sich 88,1 Prozent der befragten Deutschen gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen im eigenen Land aus.
Überwiegen die Vorteile der Gentechnik oder die Nachteile?
Als “Wohlfühllügen von Greenpeace & Co.” bezeichnet Bjørn Lomborg in einem Beitrag für The European den Aktivismus gegen genveränderte Nahrungsmittel, illustriert am Beispiel des “goldenen Reis”. Kürzlich sei auf den Philippinen ein Versuchsfeld dieser mit Vitamin A angereicherte Sorte von Aktivisten zerstört worden. Eine WHO-Studie schätze, dass an Vitamin-A-Mangel jährlich hunderttausende Kinder sterben. “Wir müssen uns jetzt fragen: Sind all diese Anti-Gen-Aktivisten nicht zumindest teilweise mit verantwortlich für die Millionen gestorbenen Kinder?”
Auf die Notwendigkeit der Gentechnik für die ärmeren Regionen verweist auch Markus Becker auf Spiegel Online. Natürlich stelle sich die Frage, warum man in Deutschland unnötige Risiken eingehen sollte. “Wer den Blick über die Staatsgrenzen wagt, könnte dagegen durchaus zu dem Schluss kommen, dass das Risiko, auf genetisch verändertes Getreide zu verzichten, größer wäre als sein Einsatz.” Dafür spreche der erhöhter Ressourcenverbrauch, Klimawandel, und die Mangelernährung rund einer Milliarde Menschen. Doch in Deutschland gelte leider: “Sachlichkeit wird durch Angstdebatten ersetzt”.
Auch Alina Schadwinkel moniert auf ZEIT Online den Mangel an Sachlichkeit. Weder von der Maissorte 1507 noch anderen gentechnisch veränderten Pflanzen gehe eine unmittelbare Gefahr für Umwelt und Gesundheit aus. Das zeige der Blick auf ein Kompendium von mehr als hundert unabhängigen Studien deren Betreiber nicht wie oft befürchtet von der Gen-Industrie finanziert seien. Trotzdem versickerten die sachlichen Argumente in Hysterie und die Bundesregierung ziehe sich billig aus der Affäre. Fazit: “Ein Ja zum Genmais wäre gut gewesen.”
Anders sieht es Martin Hoffmann von der Südwest Presse: “Alle Versprechen der Hersteller gentechnisch veränderter Pflanzen haben sich nach 20 Jahren des Anbaus nicht bewahrheitet.” Die Risiken für genmanipulierte Pflanzen für Umwelt und Verbraucher sowie für Nutztiere seien gewachsen, es würden mehr Pestizide auf die Felder gesprüht als vorher, Landwirte würden abhängig von Konzernen. Dazu die Ablehnung der Bürger: Die Kanzlerin müsse überdenken, ob sie sich weiter durchlaviere und “Industrieinteressen mehr Gehör schenkt als den Bürgern.”
Hat die Bundesregierung oder die EU versagt?
Als “Merkels Manipulation” bezeichnet Malte Kretzfeldt auf taz.de das Verhalten der Bundesregierung. Da die Enthaltung auf EU-Ebene einer Zustimmung gleich komme, stelle sich die Kanzlerin klar gegen die öffentliche Meinung. Gleichzeitig bemühe sie sich aber darum, diesen Eindruck zu verschleiern. Aber das Argument, dass auch ein Nein nichts geändert hätte, sei angesichts des deutschen Einflusses auf andere Staaten falsch. “Auf die gentechnikkritische Rhetorik der Union wird in Zukunft niemand mehr hereinfallen.”
“Berlin sagt nicht Nein, Berlin sagt nicht Ja, Berlin enthält sich”, klagt Christoph B. Schiltz in der Berliner Morgenpost. Letztlich solle jeder Staat in der EU alleine entscheiden können, ob genveränderte Organismen in einem Land angebaut werden dürfen – und genau das schlage die Kommission seit drei Jahren vor. Deutschland aber verschanze sich hinter fadenscheinigen Formalismen. “Mit Gestaltungswillen und politischer Verantwortung hat dieses Verhalten nichts zu tun.”
Sowohl das Europaparlament sei gegen die neue Genmaissorte gewesen als auch die Mehrheit der Mitgliedsstaaten, stellt Christoph Ziegler für den Tagesspiegel fest. Egal, wie man zur Gentechnik in der Landwirtschaft stehe: “Es kann nicht sein, dass der Mehrheitswille nicht geachtet wird.” Auch wenn Deutschland diese europapolitische Blamage verhindern hätte können, müsse über eine Änderung des Europarechts dringend nachgedacht werden. “Ein düsterer Tag für Europa.”
Zur Popularität der Veranstaltung Europa habe die Entscheidung sicher nicht beigetragen, ist sich die Thüringische Landeszeitung sicher. Allerdings dürfe man jetzt nicht nur mit dem Finger auf die EU zeigen. Auch die Beschlussregel der großen Koalition, sich bei Uneinigkeit auf europäischer Ebene zu enthalten, sei mitverantwortlich. Trotzdem “EU-Schwachsinn” werde mit Empörung quittiert, der nationale ernte Achselzucken.
Bild: Wikimedia Commons